Mundus
Münchner Kunst- und Kulturwelt, Heft 2/2007, Seiten 5, 6 und 7

Beschleunigte Landschaften
Die Bilder des Münchner Künstlers HC Ohl erzählen die Geschichte einer veränderten Perspektive: Geschwindigkeit vernichtet den Raum und verdichtet die Zeit ...

LENA RUPPRECHT
Manchmal muss man fortgehen, um wiederkehren zu können. Muss gewohnte Perspektiven verlassen, um die Wahrnehmungsfähigkeit für das Nächstliegende zurück zu gewinnen. Wie sehr eine Zeit im Rausch der Geschwindigkeit den Blick für das Unmittelbare verloren hat, wird spätestens dann deutlich, wenn man die Bilder und Installationen des Münchner Künstlers Hans Christian Ohl betrachtet. Seine ,,Beschleunigten“ und „Durchstrichenen“ Landschaften weisen auf ein Phänomen, das den wenigsten Menschen bewusst ist: In der Beschleunigung ändert sich der Blick auf die Nähe. Um nicht zu sagen: Er wird unmöglich.
Denn Menschen und Dinge verwischen zu bloßen Streifen, je schneller wir an ihnen vorbeirauschen. Beschleunigung lässt nur noch den Blick in die Ferne übrig. Das Naheliegende ist nicht mehr wahrnehmbar, wird zum verwischten Bild . je mehr die Geschwindigkeit zunimmt, desto stärker löst sich der Dahineilende aus seiner unmittelbaren Umgebung. HC Ohl hat einen Kunststil entwickelt, der dieses Phänomen auf ganz neuartige Weise zum Ausdruck bringt.
Der 1959 in Südhessen geborene Künstler absolvierte zunächst eine Lehre als Steinmetz und Steinbildhauer, bevor er an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Prof. Horst Sauerbruch Malerei und Bildhauerei studierte. Ohl, der als freischaffender Künstler in der Nähe von München lebt und arbeitet, wurde in seinem künstlerischen Schaffen maßgeblich inspiriert vom Pariser Architekten, Schriftsteller und Medienkritiker Paul Virilio. Dieser gilt als Begründer der Dromologie, einer Forschungsrichtung, die die gesellschaftlichen Verhältnisse unter spezieller Berücksichtigung von deren Verhältnis zur Geschwindigkeit untersucht. Virilio beschrieb als erster die Auflösung der Form durch Beschleunigung. Geschwindigkeit vernichtet den Raum und verdichtet die Zeit. Es ist das verhängnisvollste Phänomen des 20. Jahrhunderts. HC Ohl macht es in seinen Bildern sichtbar.
Wer Ohls Werke betrachtet, wird zwei Dinge wahrnehmen: Ihre außerordentliche Farbintensität ebenso wie die Reduktion auf ein bestimmtes Thema. Geprägt wurde der Künstler von den Expressionisten ebenso wie von den amerikanischen Kunstströmungen Minimal Art und Land Art, vor allem ihren bedeutenden Vertretern Sol LeWitt und Carl Andre. Weitere Vorbilder waren der österreichische Landschaftsmaler Josef Anton Koch und der zeitgenössische Künstlerkollege Gerhard Richter.
Während die Expressionisten Natur nicht unbedingt mit dem Ziel darstellten, sie „naturgetreu“ und realistisch wiederzugeben, sondern sie so malten, wie sie sie emotional erlebten - und dies mir kraftvollen Farben -, ging es den Minimalisten um ein objektives Bild der Realität, bei deren Darstellung sie sich selbst stark zurücknahmen. Der Maler bildet eine subjektive Wirklichkeit ab, der Fotograf den Schatten der Realität. Was Ohl fasziniert, ist die Schnittstelle von beidem: Ausgebend von der Fotografie und damit von der Realität, die er später am Computer verfremdet, treibt er sein Spiel mit der Wirklichkeit bzw. mit dem, wovon wir meinen, dass es Realität sei. In seinen „C-Paintings“ (Computer-Malereien) bleiben Rudimente des Fotos erhalten und werden „malerisch“ ausgearbeitet. Das, was als freie Malerei sichtbar wird, geht auf eine echte Realität zurück. HC Ohl lässt sich in kein Schema, keine Kunstrichtung, keine Schublade einordnen . Weder ist er Fotokünstler noch Maler. Er ist beides - auf eine unerhört neue Art. Mit einer Digital- und einer Hasselblad -Kamera hält er Wirklichkeit fest, um sie neu zu erschaffen. Zeigt vor allem, wie viel unmittelbare Realität verloren gehe, wenn der Mensch zu schnell wird. Das ist reizvoll und erschreckend zugleich. Und zwingt zu einer neuen Art des Sehens. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Ausstellungen seiner Werke: in Baden (Schweiz), Urbino (Italien), Große Kunstausstellung München, Ständige Ausstellung der Sammlung zeitgenössischer Kunst der BMW AG München, Ankauf der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, 1. Preis der Stadt München für die Gestaltung eines Innenhofes, Präsentation seiner Werke auf der lAA in Hannover, wo Ohl die Seitenflächen von fünf LKW (Gesamtlänge: 70 m) mit Werken aus seiner Serie „Beschleunigte Kunst“ ausstattete.


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